Datenjournalismus für Einsteiger – Teil 1

Datenjournalismus für Einsteiger – Teil 1

Datenjournalismus: Undurchdringliche Zahlendschungel in komplexen, mehrdimensionalen Tabellen, in die sich nur die fähigsten Mathematiker wagen. Ausgerüstet mit Hochleistungsrechnern, in denen ausgefeilte Algorithmen ein endlos mühsames Werk verrichten, ringen sie diesen Dschungeln Stück für Stück ihre Geheimnisse ab – danke, nichts für mich!

Zugegeben, Datenjournalismus ist ein großes Wort, hinter dem sich viel Kleinarbeit verbirgt. Aber nicht jeder, der Datenjournalismus betreibt, muss deshalb gleich Datenberge wie die Wikileaks-Sammlungen oder die Panama Papers analysieren. Für’s erste genügen sicher auch ein paar Erhebungen aus dem Bundesamt für Statistik.

So lässt sich mit Datenjournalismus beispielsweise mancher Stammtischthese auf den Grund gehen. Untersuchen wir die folgende:

In Deutschland leben Männer weniger lang, weil sie höhere Risiken eingehen als Frauen.

Zunächst ein paar Vorüberlegungen: Wer am Stammtisch von „Risiken“ spricht, meint damit gewöhnlich nicht Gesundheitsrisiken, hervorgerufen durch Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, Nikotin- und Alkoholkonsum. Welche Risiken der Stammtischbruder im einzelnen meint, müssten wir ihn persönlich fragen. Hier gehen wir vereinfachend davon aus, dass unter die Risiken etwa eine sportliche Fahrweise fällt, die Bereitschaft, gefährliche Maschinen zu bedienen oder einen Kopfsprung in ein unbekanntes Gewässer zu wagen – kurz: Risiken, durch äußere Einflüsse Schaden zu erleiden.

Um die Stammtischthese zu prüfen, benötigen wir eine Statistik, die uns verrät, wie hoch der Anteil von Männern im Vergleich zu Frauen ist, die durch solche äußeren Einflüsse ihr Leben verloren haben (wir gehen hier davon aus, dass der Anteil von Männern und Frauen an der Gesamtbevölkerung etwa gleich ist – tatsächlich betrug das Verhältnis von Männern zu Frauen beim Zensus 2011 48,8 Prozent zu 51,2 Prozent).

Eine solche Statistik finden wir in der Datenbank Genesis des Bundesamts für Statistik. Sie trägt den Titel Gestorbene: Deutschland, Jahre, Todesursachen, Geschlecht und den Code 23211-0002.

Über die Datenbank lässt sich der abgefragte Zeitraum eingrenzen: Zehn Jahre, von 2005 bis zum aktuellsten Jahr der Statistik, 2014, dürften ausreichen, um ein hinlänglich verlässliches Ergebnis zu erzielen.

Als zu betrachtende Todesursachen wählen wir

  • Unfälle einschließlich Spätfolgen
  • Transportmittelunfälle
  • Stürze
  • Ertrinken und Untergehen
  • Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen
  • Tätlicher Angriff

Dann erhalten wir diese Tabelle:

Todesursachenstatistik
Deutschland
Gestorbene (Anzahl)
Todesursachen Geschlecht
männlich weiblich Insgesamt
2005
Unfälle einschließlich Spätfolgen 11 133 8 860 19 993
Transportmittelunfälle 4 111 1 524 5 635
Stürze 3 788 4 760 8 548
Ertrinken und Untergehen 280 120 400
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 279 205 484
Tätlicher Angriff 247 206 453
2006
Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 999 8 465 19 464
Transportmittelunfälle 3 946 1 413 5 359
Stürze 3 803 4 578 8 381
Ertrinken und Untergehen 298 120 418
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 242 164 406
Tätlicher Angriff 255 229 484
2007
Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 367 8 141 18 508
Transportmittelunfälle 3 783 1 387 5 170
Stürze 3 457 4 271 7 728
Ertrinken und Untergehen 250 101 351
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 205 141 346
Tätlicher Angriff 242 209 451
2008
Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 613 8 517 19 130
Transportmittelunfälle 3 468 1 306 4 774
Stürze 3 777 4 556 8 333
Ertrinken und Untergehen 269 123 392
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 229 169 398
Tätlicher Angriff 222 221 443
2009
Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 673 8 579 19 252
Transportmittelunfälle 3 304 1 167 4 471
Stürze 3 865 4 638 8 503
Ertrinken und Untergehen 284 105 389
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 249 184 433
Tätlicher Angriff 222 225 447
2010
Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 987 9 303 20 290
Transportmittelunfälle 2 882 1 060 3 942
Stürze 4 347 5 132 9 479
Ertrinken und Untergehen 282 111 393
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 226 147 373
Tätlicher Angriff 238 240 478
2011
Unfälle einschließlich Spätfolgen 11 176 9 279 20 455
Transportmittelunfälle 3 218 1 118 4 336
Stürze 4 445 5 277 9 722
Ertrinken und Untergehen 269 101 370
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 215 161 376
Tätlicher Angriff 232 199 431
2012
Unfälle einschließlich Spätfolgen 11 255 9 614 20 869
Transportmittelunfälle 2 934 1 045 3 979
Stürze 4 689 5 551 10 240
Ertrinken und Untergehen 297 120 417
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 211 173 384
Tätlicher Angriff 204 199 403
2013
Unfälle einschließlich Spätfolgen 11 844 10 172 22 016
Transportmittelunfälle 2 789 982 3 771
Stürze 4 972 5 870 10 842
Ertrinken und Untergehen 335 130 465
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 241 174 415
Tätlicher Angriff 180 214 394
2014
Unfälle einschließlich Spätfolgen 12 240 10 536 22 776
Transportmittelunfälle 2 796 927 3 723
Stürze 5 363 6 219 11 582
Ertrinken und Untergehen 287 102 389
Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 214 133 347
Tätlicher Angriff 174 194 368

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2016  | Stand: 17.08.2016 / 14:00:00

Vorsicht vor zu grober Vereinfachung

Bilden wir jetzt die Summen der an den genannten Ursachen gestorbenen Männer und Frauen, stellen wir fest, dass in den zehn Jahren 194.402 Männer, aber nur 159.167 Frauen aus diesen Gründen ihr Leben verloren haben. Rund 55 Prozent der Getöteten waren also Männer, nur 45 Prozent Frauen.

Ein genauerer Blick in die Tabelle verrät jedoch: Die Sachlage verdient eine differenziertere Betrachtung: Feuer, Wasser und Transportunfälle raffen wesentlich mehr Männer dahin als Frauen. Aber Frauen sterben öfter durch Stürze und liegen als Opfer tätlicher Angriffe mit Männern nahezu gleichauf.

Übertragen wir diese Ergebnisse mit dem Infografik-Dienst Infogr.am in eine Bildstatistik, stellt sich das Resultat so dar:

Da behaupte noch einmal jemand, differenzierte Betrachtungen seien nichts für den Stammtisch. Datenjournalismus muss nicht aufwändig sein.

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