Personalisierter Content: Wenn der Algorithmus dich besser kennt als deine Eltern

Personalisierter Content: Wenn der Algorithmus dich besser kennt als deine Eltern

Filmempfehlungen von Netflix, Kauftipps von Amazon, Hörtipps von Spotifiy haben eines gemeinsam: Sie treffen sehr oft präzise die Wünsche des einzelnen Konsumenten. Und denen ist das ganz recht, ersparen ihnen die Vorschläge doch viel Zeit, die sie sonst beim Durchstöbern der Inhalte verbringen würden. Suspekt ist den meisten derart personalisierter Content dennoch. Zu Recht.

„Heute wieder die Calamaris?“ – Die Kellnerin in unserem Stammrestaurant weiß längst, was meine Frau bestellen wird, als sie an unseren Tisch kommt. Sie liegt, wie meistens, richtig. Das ist gut für’s Geschäft, und gut für uns. Mit seinen Bedürfnissen und Wünschen wahrgenommen zu werden, sorgt bei den meisten Konsumenten für ein behagliches Gefühl, und die geben deshalb bereitwillig Geld aus und noch ein großzügiges Trinkgeld obendrauf.

Ein Algorithmus vergisst nicht

Nun ist es eine Sache, ob die Kellnerin in unserem Stammrestaurant weiß, welche Gerichte Schatz und ich bevorzugen, und dass ich nach jedem Essen noch einen doppelten Espresso bestelle. Und eine ganz andere Sache, welche Datenmengen die Algorithmen der sozialen Netze, Onlineshopping-Anbieter und Streaming-Dienstleister von mir kennen.

Allein aus den Titeln der Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, ließe sich eine ziemlich präzise Persönlichkeitsstudie erstellen (lassen wir einmal außer acht, dass ich den Inhalt einiger weniger davon für derart verachtenswert hielt, dass ich sie sorgfältig zerfetzt dem Altpapier zuführte). Nehmen wir dazu die Filme, die ich mir angesehen, und die, deren Ansehen ich abgebrochen habe, die Tweets, auf die ich reagiert und die Twitter-Nutzer, die ich geblockt habe, meine favorisierten YouTube-Videos und meinen Suchverlauf.

In Summe dürften diese Informationen ausreichen, um einen ziemlich perfekten Klon meines Bewusstseins zu schaffen. Zweifellos ein Segen für die Menschheit, aber irgendwie auch gruselig.

„Irgendwie auch gruselig“ war zwar keine zur Wahl stehende Antwort, die der Marktforscher Toluna bei der Arbeit am Social-Media-Atlas 2022 der Hamburger Kommunikationsberatung Faktenkontor vorgegeben hatte, dennoch fasst diese Aussage gut zusammen, wie personalisierter Content bei den Nutzern ankommt.

Tatsächlich sehen rund drei von vier der befragten Nutzer personalisierten Content kritisch: 79 Prozent der Social-Media-Nutzer, würden lieber im Web 2.0 surfen, ohne dass die Anbieter dabei ihr Nutzungsverhalten tracken. 75 Prozent fühlen sich dabei regelrecht „beobachtet“, wenn ihnen Vorschläge angezeigt werden, die sich klar mit ihrem Nutzungsverhalten decken. Aber: Mehr als die Hälfte der Nutzer gaben an, den Vorschlägen des Algorithmus manchmal bis häufig zu folgen.

Wer jetzt denkt „Genau wie bei der Kellnerin“, der übersieht eine Kleinigkeit: Restaurants müssen hierzulande strenge Kontrollen über sich ergehen lassen. Die Kellnerin dürfte uns nicht vergiften, selbst wenn wir das wollten. Der Algorithmus schon.

Für den aktuellen Social-Media-Atlas (Hamburg, Mai 2022) wurden 3.500 nach Alter, Geschlecht und Bundesland repräsentative Internetnutzer ab 16 Jahren in Form eines Online-Panels zu ihrer Social-Media-Nutzung befragt. Die Umfrage führte Marktforscher Toluna im Dezember 2021 und Januar 2022 durch.

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