Datenjournalismus für Einsteiger – Teil 1 Dirk Bongardt, 18. August 20169. März 2017 Datenjournalismus: Undurchdringliche Zahlendschungel in komplexen, mehrdimensionalen Tabellen, in die sich nur die fähigsten Mathematiker wagen. Ausgerüstet mit Hochleistungsrechnern, in denen ausgefeilte Algorithmen ein endlos mühsames Werk verrichten, ringen sie diesen Dschungeln Stück für Stück ihre Geheimnisse ab – danke, nichts für mich! Zugegeben, Datenjournalismus ist ein großes Wort, hinter dem sich viel Kleinarbeit verbirgt. Aber nicht jeder, der Datenjournalismus betreibt, muss deshalb gleich Datenberge wie die Wikileaks-Sammlungen oder die Panama Papers analysieren. Für’s erste genügen sicher auch ein paar Erhebungen aus dem Bundesamt für Statistik. So lässt sich mit Datenjournalismus beispielsweise mancher Stammtischthese auf den Grund gehen. Untersuchen wir die folgende: In Deutschland leben Männer weniger lang, weil sie höhere Risiken eingehen als Frauen. Zunächst ein paar Vorüberlegungen: Wer am Stammtisch von „Risiken“ spricht, meint damit gewöhnlich nicht Gesundheitsrisiken, hervorgerufen durch Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, Nikotin- und Alkoholkonsum. Welche Risiken der Stammtischbruder im einzelnen meint, müssten wir ihn persönlich fragen. Hier gehen wir vereinfachend davon aus, dass unter die Risiken etwa eine sportliche Fahrweise fällt, die Bereitschaft, gefährliche Maschinen zu bedienen oder einen Kopfsprung in ein unbekanntes Gewässer zu wagen – kurz: Risiken, durch äußere Einflüsse Schaden zu erleiden. Um die Stammtischthese zu prüfen, benötigen wir eine Statistik, die uns verrät, wie hoch der Anteil von Männern im Vergleich zu Frauen ist, die durch solche äußeren Einflüsse ihr Leben verloren haben (wir gehen hier davon aus, dass der Anteil von Männern und Frauen an der Gesamtbevölkerung etwa gleich ist – tatsächlich betrug das Verhältnis von Männern zu Frauen beim Zensus 2011 48,8 Prozent zu 51,2 Prozent). Eine solche Statistik finden wir in der Datenbank Genesis des Bundesamts für Statistik. Sie trägt den Titel Gestorbene: Deutschland, Jahre, Todesursachen, Geschlecht und den Code 23211-0002. Über die Datenbank lässt sich der abgefragte Zeitraum eingrenzen: Zehn Jahre, von 2005 bis zum aktuellsten Jahr der Statistik, 2014, dürften ausreichen, um ein hinlänglich verlässliches Ergebnis zu erzielen. Als zu betrachtende Todesursachen wählen wir Unfälle einschließlich Spätfolgen Transportmittelunfälle Stürze Ertrinken und Untergehen Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen Tätlicher Angriff Dann erhalten wir diese Tabelle: TodesursachenstatistikDeutschlandGestorbene (Anzahl) Todesursachen Geschlecht männlich weiblich Insgesamt 2005 Unfälle einschließlich Spätfolgen 11 133 8 860 19 993 Transportmittelunfälle 4 111 1 524 5 635 Stürze 3 788 4 760 8 548 Ertrinken und Untergehen 280 120 400 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 279 205 484 Tätlicher Angriff 247 206 453 2006 Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 999 8 465 19 464 Transportmittelunfälle 3 946 1 413 5 359 Stürze 3 803 4 578 8 381 Ertrinken und Untergehen 298 120 418 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 242 164 406 Tätlicher Angriff 255 229 484 2007 Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 367 8 141 18 508 Transportmittelunfälle 3 783 1 387 5 170 Stürze 3 457 4 271 7 728 Ertrinken und Untergehen 250 101 351 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 205 141 346 Tätlicher Angriff 242 209 451 2008 Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 613 8 517 19 130 Transportmittelunfälle 3 468 1 306 4 774 Stürze 3 777 4 556 8 333 Ertrinken und Untergehen 269 123 392 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 229 169 398 Tätlicher Angriff 222 221 443 2009 Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 673 8 579 19 252 Transportmittelunfälle 3 304 1 167 4 471 Stürze 3 865 4 638 8 503 Ertrinken und Untergehen 284 105 389 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 249 184 433 Tätlicher Angriff 222 225 447 2010 Unfälle einschließlich Spätfolgen 10 987 9 303 20 290 Transportmittelunfälle 2 882 1 060 3 942 Stürze 4 347 5 132 9 479 Ertrinken und Untergehen 282 111 393 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 226 147 373 Tätlicher Angriff 238 240 478 2011 Unfälle einschließlich Spätfolgen 11 176 9 279 20 455 Transportmittelunfälle 3 218 1 118 4 336 Stürze 4 445 5 277 9 722 Ertrinken und Untergehen 269 101 370 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 215 161 376 Tätlicher Angriff 232 199 431 2012 Unfälle einschließlich Spätfolgen 11 255 9 614 20 869 Transportmittelunfälle 2 934 1 045 3 979 Stürze 4 689 5 551 10 240 Ertrinken und Untergehen 297 120 417 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 211 173 384 Tätlicher Angriff 204 199 403 2013 Unfälle einschließlich Spätfolgen 11 844 10 172 22 016 Transportmittelunfälle 2 789 982 3 771 Stürze 4 972 5 870 10 842 Ertrinken und Untergehen 335 130 465 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 241 174 415 Tätlicher Angriff 180 214 394 2014 Unfälle einschließlich Spätfolgen 12 240 10 536 22 776 Transportmittelunfälle 2 796 927 3 723 Stürze 5 363 6 219 11 582 Ertrinken und Untergehen 287 102 389 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 214 133 347 Tätlicher Angriff 174 194 368 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2016 | Stand: 17.08.2016 / 14:00:00 Vorsicht vor zu grober Vereinfachung Bilden wir jetzt die Summen der an den genannten Ursachen gestorbenen Männer und Frauen, stellen wir fest, dass in den zehn Jahren 194.402 Männer, aber nur 159.167 Frauen aus diesen Gründen ihr Leben verloren haben. Rund 55 Prozent der Getöteten waren also Männer, nur 45 Prozent Frauen. Ein genauerer Blick in die Tabelle verrät jedoch: Die Sachlage verdient eine differenziertere Betrachtung: Feuer, Wasser und Transportunfälle raffen wesentlich mehr Männer dahin als Frauen. Aber Frauen sterben öfter durch Stürze und liegen als Opfer tätlicher Angriffe mit Männern nahezu gleichauf. Übertragen wir diese Ergebnisse mit dem Infografik-Dienst Infogr.am in eine Bildstatistik, stellt sich das Resultat so dar: Da behaupte noch einmal jemand, differenzierte Betrachtungen seien nichts für den Stammtisch. Datenjournalismus muss nicht aufwändig sein. Weitersagen!teilen teilen teilen teilen merken teilen E-Mail Bitte dieses Feld leer lassen Hol dir den ChatGPT-Leitfaden mit Sofort-Erfolg – und verpasse keine Neuigkeiten mehr! Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung. Prüfe deinen Posteingang oder Spam-Ordner, um dein Abonnement zu bestätigen. 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